Superschwül und heiss war es in Kiel, die Nächte tropisch. Es regnete Monsoon-artig. Dank der kleinen Personenfähren, die im Zickzack über die Kieler Bucht sausten, konnten wir im nu nach Kiel gelangen, wo wir unsere Vorräte auffüllen und Ersatz für unser Dampferlicht besorgen konnten, das es uns wahrscheinlich in dem Sturm in Vlieland abgerissen hatte.
Baff waren wir, als uns am ersten Abend jemand auf dem Steg mit den Worten überraschte: „Ach, da seid ihr ja! Wir haben euch früher erwartet!“ Verdutzt schauten sich der Skipper und ich an. Wie bitte? Nachdem wir den netten Herrn einen Moment sprachlos angestarrt hatten, klärte uns der Mann auf. „Wir waren diejenigen, die euch in der Brunsbüttel-Schleuse geholfen haben, das Schiff zu sichern!“ Wer? Oops! Ach ja!
Zu unserem Beschämen hatten wir die zwei freundlichen Herren, die mir auf dem glitschigen Schwimmsteg zu Bodenhaftung und dem Schiff zu sicher belegten Leinen verholfen hatten schon wieder vergessen. Zum Dank luden wir die zwei Herren auf ein Glas Wein auf unser Schiff ein und es wurde ein sehr geselliger Abend. Wir erhielten viele Tipps zu Ankerplätzen und auch sonst viele Infos zu Schwedens Ostküste.

Am nächsten Morgen ging’s an das Montieren des in Kiel erstandenen Ersatz-Dampferlichtes. Und schon hatte sich die eine elektrische Winsch die wir auf unserem Boot hatten, bezahlt gemacht. Endlich musste ich nicht mehr in den Mast nur weil ich leichter war. Es war ein gutes Gefühl, einfach auf einem Knopf drücken zu können und schwupp! schon war der Skipper in der Mastspitze. Und wie man sehen kann, machte es dem Skipper ordentlich Spass, 10 Meter über dem Boden und an der frischen Luft zu Handwerkeln. Und kaum war das neue Danpferlicht montiert, fing es auch schon an wie verrückt zu gewittern. Zeit, vom Mast runter zu kommen.
Am nächsten Tag ging es dann endlich los. Wir hatten Kurs angelegt Richtung Insel Fehmarn. Die Sonne schien und die Luft war rein gewaschen vom üppigen Gewitter der letzten Nacht.

Die Windrichtung stimmte zwar perfekt, aber die Windstärke war nicht so sexy. Und so beschlossen wir – wagemutig wie wir waren – unseren funkelnagelneuen Gennaker einzusetzen. Ich hatte ja mächtig Schiss vor diesem riesen Teil. Ich hatte zwar schon viele beeindruckende Fotos gesehen von Booten, die scheinbar schwerelos von diesen Ballonen übers Wasser ihrem Ziel entgegen gezogen wurden. Aber für mich war es das erste mal und wie es halt so ist beim ersten mal: Erwartung, Vorstellung und Phantasie lagen der Realität diametral gegenüber.
Und so kam es wie es kommen musste. Die Übung endete im Desaster. Aber der Reihe nach.

Der Skipper hatte mir ja hoch und heilig versichert, dass er das total im Griff habe, er habe das schon sooooo oft gemacht. Aber mir wurde schon beim Anblick der fast 130qm weissen Fallschirmstoffs, der sich wie die Berner Alpen auf unserem Deck auftürmten….nun ja, mulmig?! Aber nach gefühlten 2 Stunden und vom Skipper im Sekundentakt gebrüllten Anweisungen „Leine Backbord dicht!/fieren!/nicht loslassen!/noch dichter!, etc, etc. hatten wir den Ballon da wo er hin gehörte und es funktionierte!!! Wir wurden schneller. Ich war total von den Socken! Der Anblick dieses Dings war einfach nur überwältigend! Der blaue Himmel, das Meer, der funkelnagelneue Gennaker, ach, Segeln war doch das Schönste!
Bei einem routinemässigen Blick auf den Kartenplotter im Cockpit realisierten wir, dass wir dem Schiessgebiet Todendorf der Deutschen Armee riskant nahe gekommen waren. Doch der Skipper beruhigte mich, so auf die Art: „Pah! Die werden sich ja sicher nicht den heutigen Tag für Manöver ausgesucht hab…“

Doch kaum waren diese Worte seinen Lippen entsprungen wurde uns bewusst, dass eine Fregatte im Tiefflug auf uns zukam. Währen bei mir die Panik ausbrach, blieb der Skipper ruhig und behielt seinen Kurs bei. Als die Fregatte aber anfing sich uns gefährlich zu nähern und uns via Funk dazu aufrief, das Schiessgebiet umgehend zu verlassen, war klar dass ein Manöver unsererseits anstand.
Und während der Skipper versuchte, einer hyperventilierenden Co-Skipperin/One-woman-crew beizubringen, wie man unter Gennaker eine Halse fuhr, passierte es: während sich der untere Teil des Gennakers bereitwillig auf die andere Seite des Vorstags legte, entschied sich der obere Teil dazu sich nicht von der Stelle zu rühren. Das anschliessende Chaos am Vorstag habe ich nicht fotografiert – es wäre wohl der Internet-Zensur zum Opfer gefallen.
Während ich einen Kringel nach dem anderen drehte auf dem Wasser versuchte der Skipper das Chaos am Vorstag unter Kontrolle zu bringen und den Gennaker zu bergen. Aber der tat keinen Wank. Die Fregatte, die noch eine Zeit lang interessiert unserem Hula-Tänzchen zugeschaut hatte, hatte sich inzwischen aus dem Staub gemacht. Naja, wenigstens waren wir die Zuschauer los.
Und so musste ich notgedrungen den Skipper zum zweiten mal innert ein paar Tagen in den Mast hieven und das auf dem offenen Meer. Zum Glück konnte ich die Flüche des Skippers in 20 m Höhe nur als sanftes Gesäusel wahrnehmen. Und irgendwann hatten wir es geschafft und Skipper und Gennaker waren wieder wohlbehalten auf den Planken angekommen. Nicht nur hatte dieses „Manöver“ unschöne Dellen auf unseren Egos hinterlassen, wir waren inzwischen auch ganz schön spät dran.

Wir waren nicht mehr ganz sicher ob es uns noch reichen würde, mit unserem Mast unter der Fehmarnsundbrücke durch zu kommen. Aber Halt! Wir waren ja jetzt in der Ostsee! Hier gab es ja gar keine Gezeiten die uns gefährlich werden konnten, yay! Also mit Volldampf Richtung Brücke. Aber je näher wir dem Hindernis kamen, um so nervöser wurden wir. Reichte es? Reichte es nicht? Dieser Nervenkitzel bei jedem Hindernis, war das normal!? Und yep, für uns Greenhörner mit funkelnagelneuem 20m Mast würde das schon bald zum Alltag gehören…
Und 2m Luft zwischen Mast und Brücke genügt ja vollkommen, nicht wahr?
Wir kamen jedenfalls unbeschadet im Yachthafen Burgtiefe an und konnten an diesem Abend unseren Wunden lecken und entspannt den Abend bei erneutem Voll-Monsoon geniessen.

Am nächsten Morgen: noch mehr Regen. Und ein Blick auf unser Hygrometer lehrte uns eine neue Lektion in Meteorologie: es gibt Luftfeuchtigkeit von mehr als 100%…! Ganz grossen Indianer-Ehrenwort.
Der Tag war und blieb muffig. Wir gingen noch einkaufen in dem kleinen Shop im Yachthafen und warfen uns wieder in die Kojen, als es wieder wie verrückt zu regnen begann.

Am nächsten Tag warteten wir noch ein Gewitter ab und machten uns erst am Nachmittag ausgeruht auf den Weg nach Ystad. Das Wetter war gut und der Wind phantastisch. Wir waren superschnell unterwegs und genossen die optimalen Bedingungen. Gut gelaunt gaben wir unserem Schiffchen den Übernamen „Miss Teflon“.

Am späten Nachmittag überraschte uns ohne Vorwarnung ein happiger Sturm. Als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte, rollte der Sturm über uns hinweg und das an der dümmsten Stelle. Zwischen zwei sich kreuzenden Fähren und einer Fahrwassertonne mussten wir Segel bergen. Der Sturm toste so laut, dass wir brüllen mussten wie wilde Tiere um uns zu verständigen. Ich war so vollgepumpt mit Adrenalin, dass ich nicht einmal merke dass ich bei einem Sturz auf eine Winsch knallte. War wahrscheinlich der Bügel meines BH’s der da in die Brüche gegangen war. Was soll’s, kann ja passieren.

AnnaSophie bewärte sich in dem Sturm definitiv besser als wir. Ohne Zittern oder Vibrieren kämpfte sie sich ruhig durch den Sturm. Alles Material sowie Radar und das AIS hatten sich von A bis Z bewährt.
Doch irgendwann beruhigten sich das Wetter und wir bereiteten uns auf die Nacht vor. Da es immer noch happige Wellen hatte, war an eine Freiwache unten im Schiff nicht zu denken. Und so versuchte ich mich im Cockpit zu entspannen, während der Skipper die erst Wache übernahm. Ich muss sehr erschöpft gewesen sein, denn als mich der Skipper weckte für einen Wache-Wechsel war ich sofort hellwach. Aber als ich versuchte mich aufzusetzen, fuhr mir ein starker Schmerz durch dem Körper.
Shit! Das war wohl eher eine Rippe gewesen, die so komisch geknackst hatte bei meinem Sturz auf die Winsch. Halleluja!
Als wir nach 12 Stunden nächtlichem Ritt auf der Buckelpiste und mehrmaligem Durchkreuzen der Frachterstrassen der Ostsee in Ystad ankamen, hatte AnnaSophie einen neuen Übernamen. Dankbar nannten wir sie „Lady Potemkin“.
