Eigentlich müsste dieser Blogbeitrag heissen „Nicht ohne meinen Pass – Episode 3“. Aber der Witz vom Crewmitglied, das ohne Pass in ein Visapflichtiges Land einreisen will, ist langsam alt. Drum will ich jetzt niemanden langweilen damit, wie ich kurz vor Saranda bemerkt habe, dass mein Pass nicht an Bord ist, sondern wahrscheinlich in der Seitentasche unseres Autos.
„Saranda, Albanien? Wollten die nicht nach Montenegro?“ Yep. Change of plan. So schnell kann’s (nur beim Segeln) gehen. Wir wollten ja eigentlich von Kassiopi aus direkt nach Bar, Montenegro segeln. Das wäre ein längerer Schlag geworden. Wir hatten mit etwas mehr als 24 Stunden gerechnet. Und dann schauten wir in Kassiopi wieder einmal auf den Wetterbericht und mussten feststellen, dass schon die nächsten Unwetter im Anzug waren. Wir wären also ziemlich sicher ziemlich durchgeschüttelt worden. Und ein besseres Wetterfenster war weit und breit nicht in Sicht. Und so entschlossen wir uns, von Kassiopi nach Saranda zu segeln und uns dort die Albanische Küste bis nach Montenegro hochzuhangeln.
Und so kam es, dass wir kurz vor Saranda wie die begossenen Pudel abfallen mussten und uns zurück nach Igoumenitsa pusten lassen mussten, wo unser Auto stand. Dort schmissen wir uns vor dem Campingplatz Drepano in die Ankerbucht, setzten mit Seppi über und gingen schnurstracks zum Auto, wo mein Pass tatsächlich in der Seitentasche auf mich wartete! Phew!! Was für eine Erleichterung!
Dafür belohnten wir uns mit einem köstlichen Abendessen im Restaurant des Campingplatzes. Es hatte nicht mehr viele Gäste und so wurden wir sehr freundlich und herzlich bedient. Und meine Lamb Chops und Max’ Fleischspiess waren wirklich hervorragend.
Da hat sich der „kleine Umweg“ von 50 Meilen wenigstens ein bisschen gelohnt…!
Am nächsten Tag motorten wir aus der Bucht von Igoumenitsa, konnten aber schon bald Segel setzen. Und wir konnten vom trockenen Schiff aus sehen, wie Korfu mit ordentlich Regen eingedeckt wurde.
Kurz vor Saranda konnten wir dann reinen Gewissens die Albanische Gastlandflagge hissen und uns entspannt von der Genua – aber wirklich fadengerade – an unser Ziel ziehen lassen. Doch dann fiel uns ein merkwürdiges schwimmendes Ding auf das offenbar auch Richtung Saranda unterwegs war.
Moment mal! War das nicht….?! Tatsächlich! Das war ja die „A“, die grösste Segelyacht der Welt! Gebaut in Deutschland für einen Russischen Oligarchen. Und die wollte nach Albanien?!? Aber je näher wir Saranda kamen, um so deutlicher wurde es uns, dass die von Philippe Starck designte Yacht das gleiche Ziel hatte wie wir.
Und in der Bucht von Saranda konten wir sehen, dass die „A“ effektiv an der einzigen Mole der Stadt hing. Wir rollten die Genua endgültig ein und schmissen uns gleich hinter dem Monster vor Anker. Das zu erwartende schlechte Wetter machte bereits jetzt den Aufenthalt am Anker zu einem unangenehmen auf- und ab hüpfen und wir wussten, dass wir die Nacht definitiv nicht hier verbringen konnten. Wir mussten Schutz suchen.
Und während Skipper One mit Seppi und unseren Pässen und Dokumenten zum Zollsteg hüpfte um die Einreiseformalitäten zu erledigen, blieb ich zurück um Notfalls unser Boot unter Kontrolle zu haben. Das gab mir einiges an Zeit, um die Vorgänge rund um die „A“ genauestens zu beobachten.
Doch irgendwann kam Skipper One von einer Welle zur anderen hüpfend zurück und wir luden Seppi wieder auf und lichteten Anker. Skipper One hatte einige wertvolle Tipps von unserer Albanischen Agentin darüber erhalten, wo wir uns am besten vor den nächsten Unwettern verstecken konnten. Nur sechs Seemeilen weiter Nördlich gab es offenbar eine gut geschützte Bucht für uns. Das würden wir heute noch schaffen!
Und bei der Ausfahrt aus Saranda erklärte mir Max dann auch, dass er erfahren hatte, dass die „A“ nur nach Albanien gekommen war, um hier billigen Treibstoff zu tanken. Und wenn man genau hinschaut, dann erkennt man unschwer eine Karawane von etwa fünf Tankfahrzeugen die aufgeboten wurden, um die Protzyacht mit Treibstoff zu versorgen.
Mir kam echt die Galle hoch! Vor allem bei dem Gedanken, was man hier in diesem armen Land alles hätte aufbauen können mit dem Geld das dieses Monstrum (angeblich ca. 400 Mio. Euro) gekostet hatte. Aber das Ego eines Oligarchen geht natürlich vor…!
Wir rollten die Genua wieder aus und liessen uns nach Norden treiben. Wir waren erstaunt, dass es kurz hinter Saranda offenbar nur noch Wildnis gab. Aber das war uns eigentlich ganz recht. Faszinierend!
In der ersten Bucht, die man uns empfohlen hatte sagte unser Bauchgefühl nö. Zu eng hier.
Wir fuhren noch ein wenig weiter und fanden eine Bucht, die uns auf Anhieb gefiel. Genügend Platz zum schwoien und ganz für uns allein, yay! Das Wasser war von einem Türkis, das ich so zum letzten mal in der Karibik gesehen hatte und es hatte die karibische Temperatur von sagenhaften 29°!! Hier würden wir bleiben und den nächsten Sturm abwettern!
Nur einen Schönheitsfehler hatte unsere Bucht. Wir hatten keinen Telefon- und keinen Internetempfang. Wir würden uns also mit den Wettervorhersahen der letzten Tage begnügen müssen…!
Bei sanftem Wellenschlag beobachteten wir, wie sich draussen vor der Bucht ein Wetter zusammenbraute. Aber hier drinnen in der Bucht war alles Bestens und wir schliefen die folgende Nacht wie die Steine.
Irgendwann in der Nacht kam Wind auf, aber AnnaSophie drehte sich nur ein wenig weiter in die Bucht. Kein Grund zur Besorgnis.
Am nächsten Tag assen wir bei schönstem Sonnenschein gemütlich Frühstück. Und ich kam auf die verwegene Idee, mir die Bucht ein wenig genauer anzusehen. Denn schon am Vorabend waren mit die geheimnisvollen Höhlen aufgefallen, die die Bucht säumten. Auch gab es am Hang in der Bucht offenbar ein verlassenes Kloster. Das wollte ich unbedingt vor die (Foto) Linse kriegen. Max hatte sich entschieden auf dem Boot zu bleiben. Er hatte sich vor Tagen seinen Fuss verknackst und wollte diesen schonen.
Und so sattelte ich Seppi und fuhr an den Strand. Ich vertäute meinen Begleiter sorgfältig und machte mich auf die Pirsch. Wieso ich gegen mein besseres Wissen kein Kommunikationsmittel mitnahm ist mir bis heute ein Rätsel. Ich wollte ja nur schnell…!
Die Höhlen entpuppten sich als Tunnels, die vermutlich im 2.Weltkrieg erstellt wurden. Aber jetzt lebten darin nur noch Fledermäuse. Ich entschuldigte mich bei den putzigen Bewohnern für die Blitzlichtaufnahme und trat den Rückzug an.
Als ich wieder nach draussen kam, bemerkte ich dass sich der Himmel schon arg donnerwettergrau verfärbt hatte. Wenn ich das Kloster noch sehen wollte, dann musste ich mich beeilen! Hastig machte ich mich auf Richtung Kloster, das etwa 500 Meter weit in der Bucht an einem Hang lag.
Auf halbem Weg dahin kam mir plötzlich ein Mann in Uniform und in Begleitung eines düster drein blickenden Hundes entgegen. Oops…
Ich setzte mein charmantestes Lächeln auf und holte meine „Damsell in Distress“ aus der Mottenkiste und tätschelte dem Hund liebevoll den Kopf. Als mich der Mann auf Albanisch ansprach, fragte ich ihn ob er Italienisch/Französisch/Englisch oder Deutsch sprach aber da war kein Durchkommen. Ich konnte ihm mehr schlecht als recht erklären, dass ich a) ein doofer Tourist und KEIN Terrorist war und b) auf dem Weg war, das Kloster zu fotografieren. Und er erklärte mir deutlich, dass dies ein Sperrgebiet war und ich hier nichts verloren hätte und wo ich denn überhaupt herkäme. Erst als ich ihn auf das in der Bucht ankernde Boot aufmerksam gemacht hatte, war klar, dass ich keine dem Meer entstiegene Jungfrau war.
Nach einer längeren Erklärungsrunde (und drei Telefonaten mit seinem Vorgesetzen) hatten wir uns soweit geeinigt, dass er mich zum Kloster begleiten würde, wo ich meine Fotos machen konnte und ich ihm versprach, dass ich anschliessend daran umgehend auf unser Boot zurückkehren würde. Dort durften wir noch eine Nacht verbringen und mussten morgen von hier verschwinden. Nullo Problemo.
Und so machten wir uns zu dritt auf Richtung Kloster. Aber vor lauter Blabla hatten weder er noch ich bemerkt, dass sich die Wettersituation massiv verschlechtert hatte. Und erst als mir der Mann nach einem Telefonanruf von seinem Vorgesetzten erklärte, dass ein Zyklon unterwegs war, wurde mir klar, dass ich meine Fotosession wohl vergessen konnte. Und tatsächlich! Es hatte angefangen heftig zu regnen. Ich deutete dem Mann, dass ich sofort zum Schiff zurück musste. Ich verabschiedete mich schnell und rannte, gegen stürmischen Wind ankämpfend zum Strand zurück.
Erst versuchte ich noch, Seppi über die inzwischen drei mal so hohen Brandungswellen ins Wasser zu bringen, musste aber bald schmerzhaft einsehen, dass das Selbstmord war. Inzwischen prasselte der Regen so brutal auf mich ein, dass ich Schutz suchte hinter einem Häuschen am Strand und mit entsetzen zusehen musste, wie sich AnnaSophie an ihrer Kette wie wild hin- und her warf!
Holy Motherf*****g s**t! Was für ein Glück, das Skipper One an Bord geblieben war!!! Doch so wie ich ihn kannte, hatte er die Situation an Bord im Griff. Aber das Gefühl der Ohnmacht überflutete mich ärger als der Sturm. Warum nur war ich nicht an Bord geblieben…! Warum hatte ich die Funke (Handfunkgerät) nicht dabei?!?
Nach einer gefühlten Ewigkeit liess der Sturm nach und ich begab mich zurück zu Seppi und versuchte wiederum, das inzwischen mit Wasser gefüllte Dinghi ins Wasser zu hieven, aber das war ein Ding der Unmöglichkeit. Erst musste ich das Wasser ablassen. Doch jedes Mal wenn das Wasser fast draussen war, kam eine Welle und füllte es wieder. Ich weiss nicht nach wie vielen Versuchen ich aufgab. Ich musste warten.
Dann bemerkte ich, dass der Uniformierte Mann zurückgekommen war. Ich versuchte ihn dazu zu bringen, mich mit dem Dinghi ins Wasser zu stossen. Aber er muss meine Gesten falsch verstanden haben. Denn er machte sich sofort daran, das Dinghi noch weiter auf den Strand zu ziehen. Ich gab auf. Ich war nass bis auf die Haut, erschöpft und konnte weder mit Max noch mit dem Uniformierten kommunizieren. Nur der Hund schien mich zu verstehen, schenkte er mir doch den mitleidigsten Blick den ich je erhalten hatte…!
Irgendwann hörte es auf zu regnen und ich konnte Max klar auf dem Boot erkennen. Ich lief auf den brüchigen Betonpier hinaus um so nah wie möglich am Boot zu sein. Und so schrien Max und ich uns gegenseitig Ideen zu, wie ich wieder zum Schiff zurückkommen könnte.
Ich hatte schon daran gedacht, Seppi für den Moment zurückzulassen und zum Boot zurückzuschwimmen. Aber Max war entschieden dagegen. Ich hatte die Strömung voll gegen mich.
Und so entschloss sich der arme Kerl trotz seines verletzten Fusses, zu mir zu schwimmen. Oh Boy! Ich hatte fast einen Nervenzusammenbruch, als ich ihn – unterstützt durch einen mit Luft gefüllten Seesack – auf mich zu schwimmen sah!
Aber er schaffte es und gemeinsam schafften wir es, Seppi durch die Brandung zu zerren und zum Boot zurück zu fahren…
…aufmerksam beobachtet vom Mann in Uniform und seinem Hund.
Und so sah es aus, als ich wieder an Bord war. Die Logge zeigte 73 Knoten Wind, fast 150 KmH. Mir lief es kalt über den nassen Rücken.
Da! Schaut her wie schön die Bucht nach dem Sturm aussieht! Und die brave Brandung, grrrr.
Und das Kloster zu erforschen, darauf war mir endgültig die Lust vergangen. Wir banden Seppi demonstrativ wieder an seinen Platz an AnnaSophies Hintern und machten uns schon am Vorabend startklar für den nächsten Tag.
Am nächsten Morgen machte uns das tosen der Brandung wieder bewusst, was sich hier gestern abgespielt hatte und wir lichteten schon bald Anker. Nix wie weg hier.
Wenigstens hatten wir super Wind von Hinten und so waren wir schon bald flott Richtung Vlore unterwegs.
Und wieder überraschte uns die komplette Unberührtheit der Albanischen Küste. Wir kamen uns vor wie Entdecker!
Doch am frühen Nachmittag liess uns ein kribbeln im Nacken nach Hinten schauen und wir konnten sehen, dass wir nächstens wieder mal ordentlich die Hucke voll kriegen würden. Au Backe. Wir verkleinerten sofort die Segel, wurden gespült und fuhren weiter.
Aber statt ab, nahm das Unwetter immer mehr zu. Wir holten das Grossegel ganz ein und passten die Grösse des Vorsegels ständig den Verhältnissen an.
Irgendwann hatten wir das Vorsegel auf Handtuchgrösse eingedreht und ritten wie zwei Rodeo Reiter auf den bockigen Wellen.
Die Situation war surreal! Um uns herum Weltuntergang und wir machten ruhig und besonnen unseren Job. Ich sass im Cockpit und bestaunte die Wellenberge, die uns zum Spielball auserkoren hatten. Doch da machte ihnen AnnaSophie und ihre Crew einen Strich durch die Rechnung. Die zwölf Tonnen schwere Yacht zeigte wieder einmal ihre Stärken. Kein Schütteln und kein Zittern, ruhig stampfte sie durch das tobende Wasser und einmal entfuhr es mir: „Oh Mann, bin ich froh, haben wir ein Mittelcockpit! Was glaubst du wie nass es auf jeder anderen Yacht jetzt wohl wäre!!“
Und zweitweise surften wir mit acht Knoten die Wellenberge herunter. Mit einem Handtuch grossen Segel…!
Irgendwann ging die Sonne hinter dem Wassergebirge unter und wir fuhren in die Nacht. Und das Tosen hörte nicht auf. Immer wieder schien es als ob es nachlassen würde, nur um einen Moment später wieder auf uns einzuprügeln. Wir begannen, die Situation mit unserer Biskaya Überquerung zu vergleichen und trösteten uns damit, dass wir hier wenigstens den Wind von Hinten hatten.
Wir schonten uns so gut es ging. Denn Erschöpfung ging gar nicht. Und kein Ende war in Sicht.
Doch dann sahen wir irgendwann die Lichter des Capo Linguetta! So nah und doch so fern. Noch eine Stunde, dann hatten wir es geschafft! Dann würden wir in der Landabdeckung des Kaps Schutz finden!
Doch da war kein Schutz. Der Wind fiel über das Kap herunter wie eine Lawine und auch die Wellen schienen nicht weniger zu werden. Aber wenigstens konnten wir die Lichter der Stadt Vlore sehen. Und da war der Stadthafen. Bald hatten wir es geschafft. Doch die sieben Seemeilen quer über die Bucht waren wohl das Härteste überhaupt, denn der schützende Hafen schien nicht näher zu kommen.
Kurz nach Mitternacht hatten wir es geschafft. Wir hatten den Stadthafen erreicht. Doch hier gab es keinen Schutz! Die völlig offene Einfahrt zeigte genau in die Windrichtung und die Wellen schlugen ungebremst bis zuhinterst auf. Es gab nur zwei mit Gummipneus ausstaffierte Molen. Unsere Herzen sanken uns in die Hosen. Hier konnten wir unser Boot nicht anlegen! Zu gefährlich.
Was nun?! Wir wussten, dass es zuhinterst in der Bucht Ankerplätze mit gut haltendem Grund gab. Dies schien uns die bessere Lösung, als hier im Hafen unser Boot zu ruinieren. Auch müsste sich nach unserer Erfahrung der Wellengang und der Wind abschwächen, je tiefer wir in die Bucht einfuhren. Aber die Bucht war acht Seemeilen lang! Es würde also noch einmal mehr als eine Stunde dauern, bis wir den hintersten Punkt der Bucht erreich hatten. Aber das war uns egal, das Boot musste sicher sein.
Die Fahrt unter Motor und gegen Wind und Wellen war zermürbend. Und je näher wir dem Ende kamen, um so fassungsloser wurden wir ob der Tatsache, dass weder der Wind nachliess noch die Wellen spürbar weniger wurden. Und als wir im Dunkeln nur knapp einer unbeleuchteten Fischzucht ausweichen konnten, waren unsere Nerven schon arg strapaziert.
Wir waren zuhinterst in der Bucht und der Wind fauchte immer noch mit fünfzig Knoten. Wir versuchten es trotzdem mit Ankern, einfach alle Kette rauslassen, siebzig Meter, das MUSS halten. Doch es hielt nicht. Also im tosenden Wind die siebzig Meter Kette wieder rein und erneut versuchen. Doch der Anker hielt einfach nicht! Max und ich schauten uns nur ungläubig an. Was hatten wir denn jetzt noch für Alternativen? Es noch einmal im Stadthafen versuchen? Wenn wir mit dem Hintern an die Mole gingen, mit Seppi als grosser Fender? Weiterfahren? Die Nacht durch? Bei diesen Verhältnissen?
Hier konnten wir nicht bleiben. Wir fuhren die acht Seemeilen schweigend wieder zurück. Wenigstens ging es diesmal schneller als das Herunterfahren, denn die Wellen schoben uns diesmal vor sich her. Am Stadthafen angekommen, beurteilten wie r die Lage noch einmal und wieder stimmten wir uns zu: hier war es zu gefährlich für das Boot.
Max schlug vor, dass wir es im Industriehafen versuchen könnten, der nur zwei Meilen nördlich lag. Unter normalen Umständen war es verboten, mit Sportbooten dort anzulegen. Aber die Situation hatte schon lange aufgehört, normal zu sein. Wir würden uns auf das Seefahrtsrecht für Notfälle berufen müssen.
Aber auch der Industriehafen bestand nur aus ein paar lausigen Steinmolen und übergrossen Pollern. Hier mit unserem Schiff festzumachen war gar nicht möglich.
Wir waren mittlerweile so erschöpft und nahe dran, mitten im Industriehafen zu ankern, als uns in den Sinn kam, dass es hier ja noch eine Fischerhafen gab. Aber hatten wir nicht gesehen, dass dort die Tiefe nicht ausreichen war? Hatten wir auch wirklich richtig geschaut? Wir zoomten auf dem Kartenplotter den Fischerhafen so gross wie möglich.
Doch! Es schien so als ob es reichen könnte?! Sollten wir es versuchen?! Wir fuhren die halbe Seemeile Richtung Norden und konnten schon vor der Hafeneinfahrt feststellen, dass die Wellen hier nicht mehr so gross waren. Aber würde es reichen, ohne Grundsee in den Hafen einzufahren?!
Verzweifelt, mit Adrenalin vollgepumpt und hellwach tastete sich Skipper One im Millimeterschritten durch die Hafeneinfahrt. Wie gebannt starrten wir auf den Tiefenmesser. 4 Meter. 3 Meter. 2.9, 2.7, 2.4, 2.2…!!! Oh Gott, wir hatten noch 40 cm Wasser unter dem Kiel. Mein Herz blieb fast stehen! 2.5, 3, 3.5 Meter! Es wurde wieder tiefer. Wir hatten es geschafft!! Wir waren drin! Und hier, hinter der grossen Mole lagen Ausflugsboote und Fischerboote gut geschützt im komplett stillen Rückwasser des Hafens. Wir konnten unser Glück kaum fassen!
Nun hiess es nur noch, einen geeigneten Platz für AnnaSophie zu finden. Der Hafen schien voll belegt. Doch da! Zwischen einem kleinen Ausflugsboot und einem kleinen Fischerboot hatte es eine kleine Lücke!
Und nun kam uns Max’ Talent, überall anlegen zu können zu Gute und nach dem zweiten Versuch hatten wir es geschafft. Wir hatten AnnaSophie gut gefendert in die kleine Lücke gequetscht und sie am Ausflugsboot festgemacht.
Mit zittrigen Händen stand ich wenig später unter der Dusche und versuchte, mir den Horror der vergangenen Stunden abzuspülen. Was auch gelang! Es war inzwischen vier Uhr Morgens und an Schlaf war nicht zu denken. Und so öffneten wir eine Flasche Prosecco und stiessen auf das Erlebte an. Wir diskutierten alles noch einmal durch und mussten zugeben, dass wir als Team wieder einmal ausgezeichnet funktioniert hatten. Wir hatten im genau richtigen Moment die Segel gerefft und jede Entscheidung war Einstimmig gewesen.
Und in noch einem Punkt waren wir uns Einig. Dass wir beide – unabhängig voneinander – das Wohl unseres Schiffes über unser eigenes Wohl gestellt hatten. Dieses Boot war unser Leben.
1 Kommentar
spannend, abenteuerlich und wohl nur für segler und seglerinben mit starken nerven! aber bravo und schön, dass es ein gutes ende nahm für annasophie und die crew. herzliche grüsse, barbara und fredy (gerade auf der rückreise von elba via cremona, bergamo nach zürich. auch bei uns war der ferienstart sehr windig und regnerisch)