Boot und Crew schwammen nach dem grossen Sturm immer noch obenauf, yay!
Schon bald nach dem Sturm schien die Sonne wieder. Doch unser Boot riss noch stundenlang, nein, zwei Tage lang wie verrückt an seinen Festmacherleinen. Die Wasseroberfläche in der Marina sah zwar sanft und harmlos aus wie ein Samtteppich. Doch die harschen Strömungen unter der Wasseroberfläche waren happig und machten uns bewusst, dass auf dem offenen Meer wohl immer noch die Hölle los war.
Wir hatten schnell entschieden, dass wir in der Marina bleiben würden, bis sich die Situation beruhigt hatte.
Rund um uns herum waren Eigner und/oder Marineros damit beschäftigt, die durch den Sturm entstandenen Schäden unter Kontrolle zu bringen. Und wir beobachteten immer noch mit Argwohn unsere neu und doppelt verlegten Festmacherleinen.
Nach zwei Tagen juckte es uns aber schon wieder so gewaltig, dass wir die Leinen loswarfen, um noch ein wenig von dem Rückseiten-Wetter-Wind profitieren zu können. Und das sah dann so aus:
Das war wieder mal Segelspass vom Feinsten!
Irgendwann kamen dann Ajaccio und seine Stadtmauern in Sicht. Hinter diesen Mauern hatten wir eigentlich Schutz suchen wollen, aber das Schicksal hatte es anders gewollt… (Ahem, unsere Faulheit war uns zum Verhängnis geworden…)
Erst kurz vor der Einfahrt zur Marina Ornano mussten wir die Segel herunternehmen, so schön war der Wind heute gewesen. Nachdem wir die Segel eingepackt hatten, riefen wir die Capitainerie per Funk auf. Wir wurden erst mal vertröstet. Uns wurde gesagt, dass sie erst schauen mussten, ob es noch Platz hatte…
Hä?!?
Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Es war Ende Oktober und da gab es doch überall Platz. Was sollte das denn? Und als uns einige Minuten später mitgeteilt wurde, dass es tatsächlich KEINEN Platz mehr frei hatte, waren wir erst mal eine Runde lang baff!
Zugegeben, die Marina schien wirklich aus allen Nähten zu platzen aber gar keinen Platz? Das war uns wirklich noch nie passiert. Und wurde geraten, es vor der Marina mit Ankern zu versuchen, doch das war uns immer noch ein wenig zu schaukelig.
Wir bedankten uns und tuckerten zur Marina Port Tino Rossi, die nur ein paar hundert Meter weiter südlich lag und funkten die dortige Marina an. Schon von Weitem konnten wir sehen, dass hier viele der Schwimmstege leer waren. Ha! Hier würden wir bestimmt einen Platz finden.
Aber als der Mensch von der Capitainerie uns sagte, dass sie erst schauen müssten, ob sie noch einen Platz für uns hätten und wir uns doch bitte erst mal an den Wartesteg verholen sollten, sahen sich Skipper One und ich nur noch entgeistert an…
Hä?!?
Was war denn hier los?!? Hatten die die Saison schon abgeschlossen gehabt als wir noch auftauchten? Das konnte nicht sein. Irritiert legten wir unser Bootchen an den äussersten Steg und genehmigten uns auf diesen Schreck erst mal einen Anleger. Argwöhnisch betrachteten wir die vielen leeren Schwimmstege und konnten uns nicht wirklich einen Reim darauf machen.
Nach etwa einer halben Stunde Warterei kam dann auch noch einer angelatscht und teilte uns mit, dass wir hier nicht bleiben konnten und wir doch bitteschön in die Marina Ornano übersiedeln sollten. Tolle Idee das!
Wir erklärten ihm, dass wir von dort kämen, aber keinen Platz bekommen hätten und man uns in der Capitainerie gesagt habe hier zu warten bis uns ein Platz zur Verfügung gestellt werden konnte.
« Ah bon, excusez-moi mais c’est le bordel ici depuis l’Orage!» Aha? Chaos seit dem Unwetter?! Kein Problem, wir haben Zeit.
Nach einer geschlagenen Stunde sahen wir dann auf dem Nebensteg einen Marinero wild herumfuchteln. Offenbar war man in der halbleeren Marina doch noch fündig geworden. Super! Na dann nix wie Leinen los und rein in die Box. Und während uns der Marinero half, unser Sophiechen schön einzuparkieren, entschuldigte sich der Mann ununterbrochen für die Verzögerung und die Umstände und sowieso und überhaupt. Jajaja, aber sicher doch. Wer’s glaubt wird selig.
Und dann wurde uns mit einem Schlag bewusst, warum hier alles so anders lief…
All die leeren Schwimmstege? Waren vom Orkan einfach abgerissen worden! Krack! Weg, mitsamt den daran angemachten Booten!! Und diese waren offenbar in die Marina Ornano verfrachtet worden, um weitere Schäden an den Booten zu vermeiden. Und darum hatten wir dort keinen Platz gefunden!
Die wenigen Boote, die den Sturm in der Marina überlebt hatten, waren stark beschädigt worden. Strom und Wasseranschlüsse? Weg, futsch. Keine Verbindung mehr!
Überall in der Marina schwammen abgerissenen Teile herum. Manche Boote sahen so schrecklich aus, dass es uns die Nackenhaare aufstellte. Abgerissene Klampen, Solarpanel, sogar Mastbäume mitsamt Segeln fehlten.
Wir wurden sehr, sehr Kleinlaut auf unserem Weg zum Marina Office. Und als uns bewusst wurde, dass wir ja eigentlich vorgehabt hatten, den Sturm genau hier abzuwettern, wurde es uns fast übel.
Ja Himmisackra, da hatte AnnaSophie’s Schutzengel aber ganze Arbeit geleistet!
Im Marina Office schaute man uns erst mal mit grossen Augen an und die erste Frage, die man uns stellte, war: «Mais vous étiez où pendant l’orage?!?» «Wo wart ihr denn während des Sturms?!?» Auch erklärte man uns, dass es, nun ja, keinen Strom gäbe und kein Wasser. Und die Sanitäranlagen waren geschlossen, da sie immer noch überschwemmt seien…
WOW!
Wir erwiderten, dass das überhaupt kein Problem sei für uns, da wir ziemlich autonom, aber unendlich dankbar für den Liegeplatz seien. Und dann erzählten sie uns vom Sturm und zeigten uns selbst aufgenommene Handyfilme. Und das Grauen liess uns wieder die Haare zu Berge stehen. Wir konnten sehen, wie die Wellen über die 8 (!!) Meter hohe Mole ungebremst auf die dahinter liegenden Boote krachten, Das Marina Gebäude fluteten und alles was nicht gemauert war, mit sich mitrissen.
Ob es «Survivors guilt» war oder einfach der Wunsch, diesem Gefühl der Hilflosigkeit etwas entgegen zu setzen – wir fingen spontan an, Wrackteile und Unrat aus dem Marina Becken zu sammeln und richtig zu entsorgen. Wenigstens ein kleiner Tropfen auf dem heissen Stein der Zerstörung…!
Und das war der Ausblick von der Mole aus. Zerstörung pur und das geflutete Dach der Capitainerie. Und yep, Internet war auch weg. Die Handyfilme kann ich euch leider nicht bieten, aber hier ein kleiner Ausschnitt davon, was sich hier vor zwei Tagen abgespielt hatte!
Dieser Zweimaster lag als einziges Schiff friedlich an einer Boje. Damals wussten wir noch nicht, wie dramatisch die Rettung dieses Schiffes gewesen war…!
Wir hatten an diesem Abend noch Essen gehen wollen, aber uns war der Appetit vergangen. Und so gab es irgendwelche Resten und mit einem Glas Wein stiessen wir auf unser Glück an, diesem Höllensturm unbeschadet entgangen zu sein. Armes Ajaccio, arme Korsen. Wir fühlten mit ihnen!
Am nächsten Morgen waren wir dann erst einmal ein wenig verwirrt, weil es im Salon plötzlich dunkel wurde: ein Kreuzfahrtschiff hatte angelegt. Fertig mit Aussicht. Aber wir frühstückten in aller Ruhe weiter.
Nach dem Frühstück ging es auf die Place Foch, nicht weit von unserem Liegeplatz entfernt. Dort war der Wochenmarkt in vollem Gange. Und wenn die komprimierte, schwimmende Stadt in der Bildmitte nicht wäre, dann sähe man im Hintergrund die imposanten Berge von Korsika… ☹
Irgendwann schien es uns, als würde der Markt von Kreuzfahrern überschwemmt. Doch das störte uns nicht weiter. Ungerührt deckten wir uns mit Korsischen Leckereien ein und davon gab es ja mehr als genug! Wir waren auch überrascht, wie normal das Leben hier nach dem «big bang» schon wieder verlief. Es war fast, als hätten wir den Sturm nur geträumt.
Am Abend spazierten wir noch über die Hafenmole. Die Hafenmole, wo noch vor zwei Tagen 10 Meter hohe Wellen darüber hinweg gefegt waren…
Am nächsten Tag sattelten wir wieder unsere Brommies und gingen auf Einkaufstour. Wir hatten auf dem Stadtplan gesehen, dass es im nördlichen Teil der Stadt einen grossen Carrefour gab. Dort wollten wir einkaufen.
Doch als wir der Promenade entlang radelten, wurden wir wieder Zeugen der Zerstörung. So leicht hätte es unsere AnnaSophie treffen können…!
Einfach nur grässlich…
Der Anblick des von einer Welle 20 Meter nach hinten geschleuderten Mäuerchens war nichts für schwache Nerven…!
Aber dieses Unwetter hatte eines ganz deutlich zum Vorschein gebracht: die einen hatten sich zusammengefunden, sich organisiert und waren gemeinsam dabei, das Chaos zu beseitigen und aufzuräumen und andere hatten die Gelegenheit genutzt, um sich wie Tiere über die geschundenen Boote herzumachen und sie auszunehmen…!
Betrübt radelten wir zu unserem Boot zurück und ich weiss noch, wie ich auf dem Steg vor AnnaSophie stand und einfach nur Dankbar war, dass wir dieses Unglück unbeschadet überstanden hatten. Und dass ich mein Boot NIEMALS leichtsinnig irgendwo zurücklassen würde.
Zurück auf dem Boot hatte das Kreuzfahrtschiff inzwischen seine Leute wieder beisammen und die Festbeleuchtung und das Buffet angeworfen. The party must go on. Und schon bald war das Monster am Horizont verschwunden.
Am nächsten Tag war das Wetter so grau wie unsere Stimmung, als wir uns auf den Weg machten. Sogar das Archipel des Sanguinaires, normalerweise ein wunderbares Anker-Paradies machte einen bedrohlichen Eindruck.
Wir nahmen aber kühn und unbeeindruckt Kurs auf die Passage durch die giftigen Felsen hindurch…
Und ein letzter Blick zurück bescherte und dann diesen Anblick. Es war als wolle uns die Natur zum Abschied noch einmal sagen: macht euch keine Sorgen. Selbst die dunkelsten Zeiten haben einen Hoffnungsschimmer. Man muss ihn nur sehen wollen.
Doch bald schon nahm uns die Küste Korsikas und ihre wilde Schönheit voll gefangen.
Wir hatten zuerst versucht, in der Bucht von Baie de Liscia zu ankern, aber dort hatte uns der starke Schwell wieder vertrieben. Und so fuhren wir weiter bis in die Bucht vor Sagnone. Hier war es angenehm Schwellfrei. Nur…
…auch hier hatte das Unwetter böse zugeschlagen. Das vergällte uns einen Landgang und wir verbrachten wieder einmal einen Abend mit gedämpfter Stimmung.
Am nächsten Morgen war dann ganz fertig mit dem letzten Rest des «Rückseitenwetters». Wir stellten uns auf einen Tag unter Motor ein. Was nicht weiter schlimm war, denn…
…so konnten wir die spektakuläre Westküste von Korsika…
…so richtig schön…
…vom friedlich dahin tuckernden Schiff aus…
…geniessen. Und yep, diese Bilder…
… entstanden alle an einem Nachmittag innerhalb von wenigen Stunden. So abwechslungsreich ist die Westküste Korsikas.
Und irgendwann kam auch noch Wind auf und wir konnten die letzte Strecke bis zu unserem Ziel – zwar nass – aber wenigstens unter Segeln zurücklegen.
Und dann hatten wir es geschafft. Die wunderschöne Bucht vor dem Ort Girolata lag vor uns! Und – kaum zu glauben – sie war Menschenleer!! In der Sommersaison war diese Bucht für Korsika-Segler ein absolutes MUST! Und dementsprechend auch immer voll. Aber jetzt, anfangs November hatten wir dieses Juwel ganz für uns allein!
Ach Korsika, du schöne Wilde, Mittelmeerjuwel und sturmerprobtes Biest. Unbeugsam, einzigartig. Bleib so wie du bist!